
STIL-Orthese: Präzision gegen Zittern
STIL-Orthese: Präzision gegen Zittern
„Schön, dass jemand nach so vielen Jahren wieder Kaffee trinken kann!“
IJsbrand de Lange erfand die STIL Orthese, ein medizinisches Hilfsmittel, das Tremoren bei Patienten mit zum Beispiel Parkinson unterdrückt. Die Innovation entstand aus einer Kombination von technischer Faszination und einem starken Trieb, im Leben von Menschen mit zitternden Händen etwas zu bewirken. Seine Idee entwickelte sich zu einem bahnbrechenden Produkt, das nun international verbreitet wird. Die Produktion findet bij Nijdra statt, wo De Lange einst ein Praktikum machte.
Wie bist du auf die Idee der STIL Orthese gekommen?
„Es begann 2014, als ich ein Video von Michael J. Fox sah. Er litt unter zitternden Händen und ich dachte: Hierfür muss es doch eine mechanische Lösung geben? Ich bin technisch ausgebildet und war fasziniert von der Möglichkeit, ein Gerät zu entwickeln, das das Zittern unterdrückt. Genau wie eine Waschmaschine mit guter Dämpfung sich nicht mehr durch den Raum bewegt, müsste man auch ein Zittern in den Händen verringern können. Diese Idee ließ mich nicht mehr los. Immer häufiger fragte ich mich auch: Wie können wir Menschen helfen, die Regie über ihren eigenen Körper zurückzugewinnen? Das wurde meine Mission.“
Wie hast du es angepackt, von der Idee eine Produkt zu machen?
„Ich habe erst ein Jahr lang Forschung betrieben und mich völlig in das Thema vertieft. 2017 habe ich meine Firma gegründet und die ersten Jahre ging es vor allem um Entwicklung und Tests. Wir wollten ein „Wearable“ machen, das Tremoren aktiv entgegenwirkt. Das Prinzip ist ähnlich wie bei Kopfhörern mit Geräuschunterdrückung: Sie dämpfen die Schallwellen, indem sie eine entgegengesetzte Schwingung hinzufügen. So funktionierte unsere Erfindung, nur eben bei Bewegung statt Geräusch. Die ersten Prototypen hatten nicht den gewünschten Effekt. Wir mussten unzählige Tests durchführen, mit Patientinnen und Fachärzten zusammenarbeiten und immer wieder zurück zum Entwurf.“
Was waren die größten Herausforderungen in der Entwicklung?
„Die ersten Versionen funktionierten technisch gut, waren aber zu groß und zu unpraktisch. 2019 bekamen wir von Patienten zu hören, dass sie sie nicht tragen wollten. Das war konfrontierend. Wir begriffen, dass wir uns eine viel einfachere und praktischere Lösung ausdenken mussten. Während der Coronazeit 2020 haben wir alles über den Haufen geworfen und sind zu einer mechanischen Lösung gekommen, die Dämpfung bietet ohne Elektronik. Die Idee ist eigentlich ganz einfach: Die richtigen Gelenke stabilisieren, jedoch Bewegung nicht völlig blockieren. Außerdem mussten wir eine Lösung für Materialeinsatz und Passform finden. Eine Orthese muss einer großen Gruppe von Patientinnen und Patienten passen und gleichzeitig effektiv bleiben. Wir haben deshalb endlos viele Prototypen an Patientinnen und Patienten getestet und ihre Rückmeldung in den Verbesserungen verarbeitet."
Wie funktioniert die STIL Orthese genau?
„Das Gerät sorgt dafür, dass unerwünschtes Zittern absorbiert wird, während normale Bewegungen noch möglich bleiben. Wir verwenden dafür speziell entwickelte Rotationsdämpfer, mit denen der Tremor sozusagen neutralisiert wird. Die Orthese kann man einfach mit magnetischen Verschlüssen anlegen, was wichtig ist für Menschen, die mit der Feinmotorik Probleme haben. Sobald man sie anlegt, zeigt sich der unmittelbar der Effekt und man sieht, was die Orthese bedeuten kann.“
Wann war das Produkt bereit für den Markt?
„Eigentlich ist ein Produkt nie ‚fertig‘, aber im Juni 2023 haben wir beschlossen, dass es fertig genug für die Markteinführung ist. Seitdem haben wir uns vergrößert und haben international expandiert.
Wie läuft der Verkauf der Orthese?
„Zuerst verkauften wir direkt an Endkunden. Die Leute kamen zu unserer Firma in Delft, probierten die Orthese und wenn sie sie überzeugte, nahmen sie sie gleich mit. Das funktionierte gut, aber wir wussten, dass wir für echte Expansion ein anderes Modell brauchten. Inzwischen arbeiten wir mit orthopädischen Fachhändlern zusammen, die den Patientinnen und Patienten unser Produkt liefern. Diese Parteien arbeiten bei Orthesen und Prothesen schon eng mit Krankenhäusern und Krankenversicherungen zusammen und sind deshalb die idealen Partner für unser Produkt.“
Wird die STIL Orthese schon von der Krankenversicherung erstattet?
„Das ist immer schwierig mit neuen medizinischen Produkten. Aus diesem Grund haben wir mit der STIL Orthese eine ausführliche klinische Studie durchgeführt, die in einer international renommierten medizinischen Fachzeitschrift veröffentlicht wurde. Wir hoffen, dass das Auswirkungen auf die Erstattung hat. Interessanterweise haben wir in Deutschland schon mehr Erfolg als in den Niederlanden.“
Eure Produktion findet bei Nijdra statt. Wie ist die Zusammenarbeit entstanden?
„Lustigerweise habe ich da mal Praktikum gemacht, 2010 ungefähr, und ich komme aus Middenbeemster und kenne die Firma also gut. Als wir eine Produktionsstätte suchten, dachte ich wieder an Nijdra. Sie produzieren hochwertige Präzisionsgeräte und arbeiten nach strengen Normen, wie es für medizinische Produkte erforderlich ist. Außerdem habe ich immer schöne Erinnerungen an die Firma behalten und ihre No-Nonsense-Mentalität passt gut zu uns. Es fühlt sich gut an, mit dem Team zusammenzuarbeiten.“
Wunderbare Zusammenarbeit also.
„Ein weiterer Faktor war, dass Nijdra gut in der Rückverfolgbarkeit und Qualitätssicherung ist, was bei medizinischen Geräten entscheidend ist. Jedes Teil muss vollständig zum Produzenten und zur Charge zurückzuführen sein, in der es produziert wurde. Dieses Niveau von Präzision und Dokumentation braucht man, um in Europa und später auch in Amerika den medizinischen Vorschriften zu genügen. Außerdem haben die Mitarbeitenden von Nijdra uns auch bei der Feinabstimmung des Produktionsprozesses geholfen. Unsere Ingenieure arbeiten eng mit ihrem Produktionsteam zusammen. Es ist nicht nur eine Frage der Aufgabe von Bestellungen, sondern auch der ständigen Verbesserung und Optimierung. Manchmal bekommen wir von ihnen Vorschläge zur effizienteren Produktion oder zu Anpassungen, die die Montage vereinfachen. Diese Art von Austausch macht unsere Zusammenarbeit ganz wertvoll.“
Wie viele Orthesen habt ihr inzwischen verkauft?
„Unser Produkt ist jetzt ungefähr 1,5 Jahre in den Niederlanden auf dem Markt und wir haben inzwischen Hunderte zufriedene Nutzerinnen und Nutzer. Aber wir stehen erst am Anfang. In Deutschland haben wir vor ein paar Monaten angefangen und vor kurzem haben wir in Belgien und Italien Partnerschaften geschlossen. Wir erwarten in den kommenden Jahren starkes Wachstum, vor allem wenn es mit der Kostenerstattung durch die Krankenkassen gelingt.“
Was sind die Zukunftspläne für STIL?
„Wir sind gerade in einer öffentlichen Investitionsrunde, um unser Wachstum zu finanzieren. Wir wollen nicht nur in neue Märkte expandieren, sondern auch neue Produkte entwickeln und extra klinische Studien durchführen. Unsere Mission ist es, so vielen Menschen mit Tremoren wie möglich ein besseres Leben zu verschaffen. Das Schönste ist, wenn man einen Patienten oder eine Patientin sieht, der oder die nach Jahren wieder normal Kaffee trinken und einen Stift festhalten kann. Da lohnen sich all die Mühen.“